1. Juni 2020
Kindheitserinnerungen sind oft auch nach langer Zeit noch sehr präsent. Und auch wenn man einen Weg schon mehr als 20 Jahre nicht mehr gegangen ist kann man sich an viele Details des Weges erinnern. Und solch eine Erinnerung habe ich am letzten Wochenende mal wieder etwas aufgefrischt.
Der Titel des heutigen Beitrags stammt ursprünglich von einem Buchtitel eines sehr bekannten Berufsjägers in Namibia. Darin geht es um Großwildjagd wie wir es hier im Schwarzwald und weiten Teilen Europas nicht kennen. Die Großwildjagd soll aber heute nicht Thema sein, sondern ein sehr schöner Weg der oberhalb Hilpertsau bis nach Reichental führt. Der Jägerpfad. Ich beging ihn nach über 20 Jahren wieder, und wieder war es so, wie ich ihn als Kind, Jugendlicher und junger Erwachsener kennengelernt hatte. Wir gingen ihn entgegen der Richtung wie er in einigen Touren auf verschiedenen Websites beschrieben ist. Es sind ca. 10 km und die Höhendifferenz ist mit geschätzten 280hm bergauf und 280hm bergab sehr gut zu schaffen. Bei langsamer Gehweise ist man ungefähr 3 Stunden unterwegs. Als Wegzeichen ist der Hase und der Jäger von Wilhelm Busch gewählt worden. Wir liefen von der S-Bahnhaltestelle in Hilpertsau ab, dies war auch wieder unser Endpunkt. Am Friedhof vorbei und hoch zur Mutter Gottes dann rüber oberhalb der Schloßwiesen Richtung Scheuern. Kurze Rast an der 300 Jahre alten Eiche und dann hoch um den Eingang zum Jägerpfad nicht zu verpassen. Hangparallel leicht bergauf bis nach Reichental. Und von dort über den Reichenbachwiesenweg (heute Kunstweg) zurück nach Hilpertsau. Soweit die Tour in Kürze. Wie ich es empfunden habe möchte ich euch nun erzählen.
Der Jägerpfad
Der Pfad ist an den meisten Stellen nicht breiter als wie in diesem Bild gezeigt. Nur meist kurze Strecken geht es auf breiten Wegen daher. Sehr kurzweilig wird das Gehen - eine Unterhaltung ist dabei eher störend und auch nicht immer möglich, weil zwei Personen nicht nebeneinander gehen können. Verschiedene Waldgesellschaften treiben die Kurzweil in immer höhere Sphären und die Gedanken können fließen. Das ist der Moment - ich werde sehr wortkarg, meine Frau tut mir im Nachhinein immer fast ein wenig leid. Ich nehme nur noch die (für mich) spannenden Dinge entlang des Weges war. Hier ein Insekt, dort ein seltener Baum oder eine schöne Pflanze.
Ich tauche ein in den Wald. Es gibt nur ihn und mich. Aus der kleinen Wanderung wird eher eine "Schreitmeditation". Meine Schritte werden langsamer. Bedächtiger. Plötzlich ist alles interessant für mich und viele Gedanken und Zitate kommen mir in den Sinn. Ich werde ruhig und eine gewissen Demut überkommt mich. Tiziano Terzani sagt in seinem Buch "Das Ende ist mein Anfang" sinngemäß den folgenden Satz.
Wenn Du mal verstanden hast, dass du ein sehr, sehr kleiner Teil von etwas sehr, sehr Großem bist, dann bist du schon einen Schritt in deiner Erkenntnis weiter gekommen.
Enge Wege - weite Gedanken
Gedanken die mir dabei in den Kopf kommen treffen mich oft mit voller Wucht. Das war schon als Kind so. Der Wald hat bei mir immer sehr starke Gefühle ausgelöst. Natürlich nicht unbedingt der Fichtenacker oder auch ein Buchen-Reinbestand der sehr monoton sein kann. Aber ein strukturreicher, mit alten knorrigen Bäumen bestockter Wald fasziniert mich seit frühester Kindheit. Etwa als ich mit Oma Viktoria auf der Bank am Waldrand saß und ich ihr mit Eicheln oder Kastanien einen Kuchen gebacken hab. Und sie mir mit ihrer freundlichen, gütigen Art zu verstehen gab, dass man keine Blätter von Bäumen reißt. Sie hat das gelebt was mir ein Mönch in einem Kloster Jahrzehnte später mit einem Wort beschrieb.
Humilitas - Demut
Ist es nicht genau diese Tugend die uns in der heutigen Zeit abgeht? Sollten wir nicht demütig anerkennen dass es eine höhere Macht gibt als wir? Manche nennen es Gott, andere Natur. Charles Darwin hat den Satz geprägt:
Alles was gegen die Natur ist, hat auf die Dauer keinen Bestand
Die Natur kommt klar - auch sehr gut ohne uns
Beide obigen Bilder zeigen Überreste von Bäumen die Schadereignissen erlebt haben. Oben hat es eine Buche im Sturm erwischt, unten hat sich bei der Fichte das Splintholz vom Reifholz getrennt, ebenfalls beim Sturm. Der zylindrische Rest ist das trockenere Holz, aussen sind die wasserführenden Schichten. Und so traurig uns diese Bilder unter Umständen auch machen. Für die Natur ist das kein Problem, wenn genügend andere Bäume in der Nähe stehen.
Im Bild zu sehen wie es aus der Tanne Harz herausdrückt. Könnte die Tannen-Komplexkrankheit sein. Zuerst schwächte eine Laus den Baum, danach kommt ein Borkenkäfer mit ins Spiel (der Baum wehrt sich mit Harz gegen den Käfer). Den Abschluß bildet der Hallimasch. Ein Pilz der vor allem im Wurzelbereich der Bäume lebt und dort die Wurzeln schädigt. Viele Schäden an Bäumen sind anthropogenen Ursprungs. Also auf den Menschen zurückzuführen. Klimawandel ist ein bedeutender Faktor im Krankheitsbild unserer Wälder. Und um Kemal Atatürk, den Begründer der modernen Türkei zu zitieren:
Ein Land ohne Bäume ist kein Heimatland
Das sehe ich auch genau so. Für mich gehören Wälder einfach zum Begriff Heimat. So bin ich geprägt, dagegen kann ich nichts tun. Will ich aber auch nicht. Nun noch ein Bild vom Pfad bevor wir gedanklich wieder in die Streuobstwiesen des Reichenbachwiesenweges zurückkehren.
Ich trete aus dem Wald und komme am Ölberg in Reichental an die Straße, überquere diese und gehe nun die letzten 3-4 km durch das schöne Wiesental. Am Wegrand steht eine weiße Teufelskralle, sehr filigran und wunderschön anzusehen.
Das Wiesental am Reichenbach hat im übrigen wie viele andere Seitentäler im mittleren Murgtal eine historische Besonderheit. Hier stehen die Heuhütten, die als Tiroler Heuhütten bekannt sind. Von Einwanderen aus Tirol (evtl auch Südtirol, Trentino) so gebaut wie sie es in der Heimat südlich des Alpenhauptkammes gelernt hatten. Zu diesem Thema werde ich auch einen Beitrag schreiben (Heuhütten, Wässerwiesen, Wasserkanäle in Wiesen usw.)
Abschließend, passt ganz gut zum Thema Südtirol und in die heutige Zeit, ein Zitat von Reinhold Messner. Ich denke nicht dass ich zu ihm etwas erklären muss. Ihn kennt wirklich die ganze Welt. Nicht nur ein großer Bergsteiger, Abenteurer usw. Auch ein großer, kluger Kopf unserer Zeit. Müsig zu erklären dass ich ihn sehr verehre.
Wir haben alle das Leben gekriegt, wir haben die Freiheit das Leben zu leben, und ich behaupte,
dass in uns die Gesetzmäßikeit steckt, dass wir das Leben retten wollen.
Aber das Leben wird erst eine Kunst wenn wir es verlieren könnten
Reinhold Messner im Lied "bring mi hoam" von Max von Milland